Am Montag erscheint das neue Album der Jazz-Bassistin Esperanza Spalding „Radio Music Society“. Es ist ein wunderschönes, deepes Album geworden, das perfekt Jazz, Soul, Pop und Songwriting miteinander verschmilzt. Jetzt schon eines der Alben des Jahres.
Und wenn Joe Lovano ihr Mentor ist, Jack de Johnette am Schlagzeug sitzt und Q-Tip mitproduziert, weiß man, dass hier alles richtig gemacht wurde. Und dann sieht sie auch noch so hinreißend gut aus!
“Radio Music Society” ist eher ein Begleitalbum als ein Nachfolgealbum von “Chamber Music Society”. Mit letzterem hatte Esperanza Spalding im vergangenen Jahr Platz 1 der Billboard Contemporary Jazz Charts erreicht. “Ursprünglich wollte ich beide Scheiben zusammen als Doppelalbum herauszubringen”, erklärt sie. “Eine CD mit einer intimen, subtilen Sondierung von kammermusikalischen Werken und eine zweite CD, auf der Jazzmusiker sich mit Songformen und Melodien auseinandersetzen, die vom Format her eher ‘Popsongs’ sind. Ich interessiere mich wirklich für diese beiden Musikarten, und es ist spannend, sich schon beim Schreiben der Songs Gedanken über die unterschiedlichen Präsentationsansätze zu machen. Bei den Popsongs denke ich an Hörer, die nicht viel mit Jazz am Hut haben, aber ich mache mir natürlich auch Gedanken darüber, mit welchen Leuten aus meiner musikalischen Gemeinschaft ich jede meiner Ideen am besten interpretieren kann.” Kein Wunder also, dass sie als Vorbilder für ihre eigene Karriere so gegensätzliche Charaktere wie Madonna und Ornette Coleman angibt.
“Radio Song”, die Eröffnungsnummer des neuen Albums, gibt den Ton vor und zeigt, dass Spaldings “Radiomusik”-Metapher treffend ist. “Jeder weiß, wie das ist, wenn man im Auto das Radio einschaltet”, erklärt Esperanza. “und gedankenlos so lange von einem Sender zum anderen herumzappt, bis einen plötzlich ein Musikfragment innehalten lässt und vollkommen fesselt. Diesen Augenblick, in dem die Musik einfach in einen hineinsinkt, wollte ich einfangen. Es geht dabei um die Kraft eines Songs und wie er einem zumindest den Tag retten kann.”
Esperanza Spalding – Black Gold (feat. Algebra Blessett) from Concrete Loop on Vimeo.
Nun könnte man erwarten, dass sich Spalding (die schon im Vorprogramm von Prince auftrat) für dieses Projekt aus dem immensen Pool an klassischen Popsongs bedienen würde – so wie es in den letzten Jahren ja schon etliche Jazzer taten. Doch die Bassistin bevorzugt eigenes Material: “Ich habe ein ganzes Buch voller Stücke, die ich geschrieben habe”, verrät sie. “Und viele dieser Lieder hätten sowohl in das Kammermusik-Konzept gepasst als auch in das Radiomusik-Konzept. Ich sehe es so, dass sich Songs in Fragmenten entwickeln. Also schnappte ich mir für diese unterschiedlichen Projekte meine Aufzeichnungen und organisierte sie so, dass kohärente Musikwerke dabei herauskamen.”
Doch Liebe ist schließlich nicht alles, und so schneidet Esperanza Spalding in Songs wie “Crowned And Kissed”, “Vague Suspicions”, “Land Of The Free”, “Black Gold” und “City Of Roses” (eine Ode an ihre Heimatstadt Portland in Oregon) auch ganz andere Themen an. Und dann gibt es doch noch zwei Cover-Songs, bei deren Interpretation die junge Protagonistin einen guten Tipp ihres Mentors Joe Lovano beherzigte: “Wenn du einen Klassiker spielst”, so hatte ihr der große Tenorsaxophonist einst geraten, “dann musst du einen persönlichen Grund dafür finden, dies zu tun.” Während Stevie Wonders “I Can’t Help It” für dieses Album mit “Radiomusik” eine geradezu natürliche Wahl scheint, überrascht Spalding mit der Neuinterpretation von Wayne Shorters “Endangered Species”, für die sie eigens einen Text schrieb.
Aufgenommen hat Spalding die zwölf Songs ihres neuen Albums mit Musikern aus ihrem immer größer werdenden musikalischen Universum: Neben langjährigen Partnern wie Joe Lovano, Keyboarder Leo Genovese und Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington kommen hier auch die beiden Jazzschlagzeug-Legenden Jack DeJohnette und Billy Hart sowie die Gitarristen Jef Lee Johnson und Lionel Loueke zum Zuge. Gesangsparts übernehmen neben Esperanza Spalding noch Algebra Blessett, Lalah Hathaway, Gretchen Parlato, Leni Stern und Becca Stevens. Einen ganz besonderen Auftrittt hat außerdem der MC Q-Tip, der auch zwei Stücke des Albums koproduzierte.
“Ich hatte über die Jahre hinweg die Ehre und das Glück, mit vielen phänomenalen Jazzmusikern zusammenzuarbeiten”, sagt die gerade einmal 27-Jährige. “Und je besser ich sie und ihre Musik kennenlerne, desto mehr liebe ich sie als Kollegen und betrachte sie als Teil meiner Familie. Ich wollte eine Gelegenheit haben, gemeinsam mit ihnen Songs zu interpretieren, so dass ein breiteres Publikum sie hören kann. Alle meine persönlichen Helden, die in der Jazzwelt verehrt werden – wie Joe Lovano und Terri Lyne Carrington -, sollten von einem Mainstream-Publikum gehört werden, weil das, was sie in ihrer Musik mitteilen, so schön, ehrlich und erhebend ist. Ich denke, dass sie das Leben der Leute, die sie spielen hören, buchstäblich bereichern. Also habe ich versucht, ein Musikprogramm zusammenzustellen, das Hörer anspricht, die nicht mit Jazz vertraut sind, zugleich meinen Jazzhelden aber auch eine vernünftige Grundlage bietet, um sich selbst auszudrücken. Ich hoffe, dass die Leute alle Elemente meiner Musik genießen können, ohne dass man ihnen verraten muss, aus welchen Genres sie sich ‘angeblich’ zusammensetzt. Jeder sollte dies Album unvorbelastet anhören. Es ist eine Reise. Jeder soll sich seine eigenen Gedanken machen und seine eigenen Empfindungen haben. Aber das Wichtigste ist: Jeder soll es genießen!”