Mit dem Dudelsack Jazz spielen? Eigentlich wie gemacht dafür, könnte man meinen: qietschig und nervig. Aber nur wenige haben es bisher gewagt. Rufus Harley war einer.
Der Dudelsack hat nicht nur für Jazzmusiker ein problematisches Image: Ein primitives, mittelalterliches, dröhnendes Bauerninstrument mit sirenenhaftem Ton. Seit dem 19. Jahrhundert vornehmlich von steifen Schotten in Uniform und Gleichschritt gespielt. Und dann dieser durchdringende Ton, der manche Leute zum Durchdrehen bringt! Wie eine Blockflöte, nur nerviger. Kein Ansatz? Geh weg!
Was etwas verwegen bis unvorstellbar klingt, funktioniert tatsächlich: Jazz mit dem Dudelsack. Denn eigentlich klingt ein Dudelsack eher wie ein orientalisches Instrument, denn ein schottisches.
Gunhild Carling swingt mit Dudelsack
Neulich bin ich über ein beeindruckendes Video gestolpert: Es zeigt die glitzernde Blondine Gunhild Carling vor einer Swing-Band mit einem Dudelsack ein extrem hottes Solo blasen. Die schwedische Multi-Instrumentalistin kann aber auch drei Trompeten auf einmal spielen. Seht selbst, mit blonder Perücke und engem Glitzerkleid macht Gunhild Carling die Show und verblüfft die Zuschauer.
Sucht man etwas weiter, stößt man schnell auf Rufus Harley, der in den Sechziger Jahren den Dudelsack in den Jazz eingeführt hatte. Sein Dudelsack-Erweckungserlebnis hatte er, wie er sagte, bei der Beerdigung von John F. Kennedy: Dort marschierte eine neun Mann starke Abordnung Dudelsackpfeifer der schottischen Black Watch of the Royal Highland Regiment mit im Trauermarsch. Kolportiert wird u. a. auf Wikipedia, dass es sich um afroamerikanische Musiker gehandelt haben soll, was aber nicht stimmen kann, wie man in diesem Bericht der Piping Press lesen kann. Jedenfalls glaubte Harley, dass das Instrument ein sehr altes, genuines Instrument aus dem „Motherland“ Afrika ist und baute es in sein afrozentriertes Weltbild ein. Tatsächlich soll sich die älteste Darstellung einer Sackpfeife auf einem hethitischen Relief aus Alaca Höyük (vor 1200 v. Chr.) befinden.
Effekthascher?
Jedenfalls begann er Ende 1963 dann das Sackblasen, eine Zeit, in der viel ausprobiert und experimentiert wurde. Zudem wurde der Jazz in jener Zeit aus seinem starren Korsett befreit. Rufus Harley hatte als Saxophonspieler zu der Zeit viel Konkurrenz, auch deswegen wechselte zum Dudelsack, zur Sackpfeife. So hatte er ein Alleinstellungsmerkmal und versuchte das Dudelsackspiel mit dem sich öffnenden Jazz zu verbinden. Mit dem Produzenten Joel Dorn hatte Harley einen Protegé und veröffentlichte auf Atlantic Ende der Sechziger Jahre fünf Alben. Diese fanden bei Kritikern Anklang, doch die Jazzszene blieb distanziert. Man hielt ihn wohl für einen Effekthascher.
John Coltrane und Muhammed Ali interessiert
Sonny Stitt und Herbie Mann waren zumindest begeistert und engagierten ihn für einige Aufnahmen. 1974 spielte er mit Sonny Rollins beim Jazzfest Berlin und wurde ausgebuht. Aber: John Coltrane zeigte sich interessiert und ließ sich das Instrument und die Technik, es zu spielen, zeigen. Ebenso Muhammad Ali. Zum Sound: Man kann die großen, eintönigen Tröten (Bordunpfeifen) einzeln abschalten.
1972 veröffentlichte Rufus Harley auf dem eigenen Label Ankh Records das Album „Re-Creation of the Gods„, das spirituell, deep, funky und psychedelic ist, teilweise elektrisierend übersteuert. Eine Entdeckung! Der Track „Crack“ stammt von der CD, auf dem Original-Album ist er nicht enthalten. „Gods and Goddessess“ stammt ebenfalls von „Re-Creation of the Gods„.
Der „Bagpipe Blues“ stammt vom gleichnamigen Album von 1965 „Bagpipe Blues„. Auch geil: „Feeling Good“ vom 66er-Album „Scotch Soul„.
Es lohnt sich jedenfalls, in die Platten reinzuhören. Einen sehr guten Überblick über seine Veröffentlichungen bei Atlantic bekommt man mit der auf Rhino erschienenen erstklassigen CD-Compilation „Rufus-Harley – Courage – The Atlantic Recordings„.
Zusammenfassung: Sein bestes Album „Re-Creation of the Gods„ hat Rufus Harley in Eigenregie ohne die Zwänge einer Plattenfirma aufgenommen.